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Anstieg der Altersarmut: unaufhaltsam oder vermeidbar?

Altersarmut galt bis Ende des 20. Jahrhundert als quasi überwunden – u.a. ein Erfolg der gesetzlichen Rentenversicherung. Seit einiger Zeit allerdings scheint diese positive Entwicklung rückläufig zu sein und es wird kontrovers darüber diskutiert, ob und in welchem Ausmaß für die künftigen Älteren mit einer Zunahme von Altersarmut zu rechnen ist. Claudia Vogel und Harald Künemund liefern in ihrem Beitrag grundlegende Fakten für die Diskussion.

Vogel, C., & Künemund, H. (2018): Armut im Alter. In: Böhnke, P. ; Dittmann, J. & Goebel, J.: Handbuch Armut. Verlag Barbara Budrich, Opladen & Toronto, S. 144 - 153

Dabei wird sowohl die neuere Entwicklung der Altersarmut in den Blick genommen als auch der Frage nachgegangen, wie es mit den Möglichkeiten der Kompensation für geringere Alterseinkommen steht. Sie kommen zu dem Schluss, dass ohne eine Gegensteuerung Altersarmut wieder zu einem gewichtigen gesellschaftlichen Problem wird und dass es politischer Korrekturen bedarf, die den veränderten Lebensläufen von Frauen und Männern Rechnung tragen. Sichere Arbeitsplätze mit individuell ausreichenden Erwerbseinkommen in einem
umlagefinanzierten Alterssicherungssystem bildeten die beste Basis, um Altersarmut für die breite Bevölkerung zu vermeiden.Personen, die nach Einbeziehung staatlicher Transferleistungen ein Einkommen von weniger als 60% des Medianeinkommens der Gesamtbevölkerung haben, gelten als armutsgefährdet.

Ein Blick in die amtliche Statistik zeigt: Der Anteil armutsgefährdeter Personen im Alter ab 65 Jahren lag im Jahr 2015 bei 16,5%, er entsprach damit in etwa dem Anteil Armutsgefährdeter an der Gesamtbevölkerung (16,7%) und lag lediglich geringfügig unter dem Anteil von 17,3% der 18- bis 65-Jährigen. Aber Einkommensarmut hat in den letzten Jahren insbesondere bei Personen im mittleren Alter zugenommen, die kurz vor der Rente stehen, damit gehen Armutsrisiken im Alter für die Zukunft
einher. Eine Zunahme der Altersarmut lässt sich aber auch schon jetzt an der wachsenden Zahl von Empfänger/inne/n der Grundsicherung im Alter ablesen: betrug ihr Anteil im Jahr 2003 noch 1,7%,
lag er im Jahr 2015 mit 3,2% fast doppelt so hoch.

Für den Großteil der Rentnerinnen und Rentner stellen die Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung den Hauptbestandteil ihres Einkommens dar, 90% aller Personen ab 65 Jahren in Westdeutschland und 99% in Ostdeutschland beziehen eine gesetzliche Rente. Dagegen ist die betriebliche Altersversorgung mit 21% im Westen und 2% im Osten kaum verbreitet. Jahr für Jahr sind die Zahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung an Neurentnerinnen und -rentner niedriger als die der Bestandsrentnerinnen und -rentner. Der durchschnittliche Zahlbetrag über alle Renten betrug im Jahr 2015 für Männer 1034 Euro und 815 Euro für Frauen. Die Zahlbeträge für Neurentner/innen im gleichen Jahr lagen dagegen im Westen bei 878 für Männer und 593 für Frauen sowie im Osten bei 826 für Männer und 767 für Frauen, schon jetzt zeigen sich große
Niveauunterschiede in den Renten der verschiedenen Geburtskohorten.

Claudia Vogel und Harald Künemund zeigen, dass es viele, auch in Wechselwirkung stehende Faktoren, die zu Einkommensarmut im Alter führen können, gibt: wer viele Jahre nicht oder nur geringfügig beschäftigt war, unbezahlt oder schwarzgearbeitet hat verfügt i.d.R. nicht über ausreichende Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch frühe gesundheitliche Einschränkungen, eine Migrationsbiografie, diskontinuierliche oder am Sozialversicherungssystem vorbeilaufende Erwerbsbiografien, Phasen der Selbständigkeit, Familienaufgaben wie Kindererziehung oder Angehörigenpflege sowie die Ausweitung des Niedriglohnsektors sind verbreitete Ursachen für geringe Alterseinkommen. Und neben der Einkommensarmut sind steigende Wohnkosten, höhere Krankenversicherungsbeiträge oder
Zusatzkosten aufgrund von Pflegebedürftigkeit Faktoren, die zu Altersarmut beitragen können.

Und wie ist es mit den Kompensationsmöglichkeiten für sinkende Alterseinkünfte bestellt? Inwiefern es verschiedenen Personengruppen gelingen kann, die Absenkung des Rentenniveaus durch höhere betriebliche und/oder private Altersvorsorge zu kompensieren, ist zurzeit eine offene Frage. Bekannt ist, dass die Möglichkeiten hierzu sozial ungleich verteilt sind, anzunehmen ist, dass dies zu einer zusätzlichen Zunahme der Ungleichheit im Alter führt. Zudem birgt die private Altersvorsorge nicht unerhebliche Inflationsrisiken, deren Ausgleich i.d.R. keineswegs garantiert ist. Daneben erfolgen auch private Transfers – Erbschaften und Schenkungen – sozial stark differenziert. In der Summe besteht Armutsgefahr im Alter insbesondere, weil diejenigen, die aufgrund erwartbar geringer Alterseinkommen am dringendsten einer Kompensation bedürften, am wenigsten dazu in der Lage sind, ausreichend vorzusorgen.

Die gegenwärtige Alterssicherungspolitik scheint vor allem durch eine zunehmende Unsicherheit und Ungleichheit für Teile der Bevölkerung gekennzeichnet. Dies birgt das Risiko gesellschaftlicher Folgekosten – in Bezug auf die gesellschaftliche Partizipation, soziale Integration und die familialen Beziehungen insgesamt. Produktive Tätigkeiten und familiäre Hilfeleistungen setzen Ressourcen – auch eine materielle Absicherung – voraus, und auch bürgerschaftliches bzw. ehrenamtliches Engagement erfolgt nicht voraussetzungslos.

Claudia Vogel und Harald Künemund gehen davon aus, dass – ohne eine Kurskorrektur in der Alterssicherung – Altersarmut sich wieder zu einem wichtigen gesellschaftlichen Problem entwickeln
wird. Sichere Arbeitsplätze mit individuell ausreichenden Erwerbseinkommen in einem solidarischen und umlagefinanzierten Rentensystem bildeten die beste Basis, um Altersarmut für die breite Bevölkerung zu vermeiden.


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